Am Oberlandesgericht Frankfurt beginnt der Prozess gegen den IS-Anhänger, der ein jesidisches Mädchen verdursten ließ. So grausam die Vorwürfe sind, so schwer wird der Fall aufzuklären sein. Das liegt auch an der Kronzeugin.

Wenn Taha Al-J. am Freitag im Oberlandesgericht auf der Anklagebank Platz nimmt, werden Menschen an vielen Orten auf der Welt ihre Gedanken nach Frankfurt richten. Große Hoffnungen lasten auf den Richtern des Staatsschutzsenates. Sie haben eine Aufgabe vor sich, die ihnen alles abverlangen wird: Jene Verbrechen aufklären, die die Bundesanwaltschaft dem 27 Jahre alten Iraker Al-J. vorwirft. Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Menschenhandel.

Da ist zum einen der Mord an einer Fünfjährigen. Ein jesidisches Mädchen, das der mutmaßliche IS-Terrorist als Sklavin gehalten und grausam verdurstet haben lassen soll, indem er sie bei 48 Grad in der Sonne an ein Fenster kettete. Da ist außerdem die Mutter des Mädchens, Nora T., die die Gefangenschaft im irakischen Haushalt von Al-J. überlebt hat und Kronzeugin ist. Die Bundesanwaltschaft ist überzeugt, dass Al-J. die beiden gekauft hat, um im Einklang mit den Zielen des IS die religiöse Minderheit der Jesiden zu vernichten. Es geht also auch um sie Aufarbeitung der Verbrechen an den Jesiden. Kann das Oberlandesgericht nachweisen, dass es dem Angeklagten um die Vernichtung der Jesiden ging, wäre das ein Meilenstein für die Opfer.

Schwierige Wahrheitsfindung

Dass das für das Gericht schwierig wird, liegt einerseits daran, dass es auf Beweismittel und Zeugenaussagen aus dem Irak angewiesen ist, wo im Tatzeitraum Chaos herrschte. Eine Vorahnung von dem, was auf sie zukommen wird, werden die Richter außerdem durch den Prozess gegen Taha Al-J.s Ehefrau Jennifer W. bekommen haben. Die deutsche IS-Anhängerin muss sich seit April 2019 vor dem Oberlandesgericht München verantworten, weil sie den Mord an dem Mädchen nicht verhindert haben soll. Tatsächlich erfuhren die Ermittler nur deshalb davon, weil W. einem angeblichen Glaubensbruder davon erzählte, der in Wahrheit ein verdeckter FBI-Ermittler war.

Erst kurz vor Prozessbeginn tauchte dann Nora T. auf. Nachdem die Anklageschrift ins Englische übersetzt worden war, erkannte die Mitarbeiterin einer Hilfsorganisation die Geschichte und deren Anwälte kontaktierten die Bundesanwaltschaft. Deren Aussage hat sich jedoch als problematisch erwiesen. Elf Tage dauerte ihre Vernehmung in München. T. kann nicht lesen oder schreiben, sie kann kaum Zeitangaben machen und hat sich oft widersprochen. Erst soll Taha Al-J. der Gewalttätige gewesen sein, dann Jennifer W. Auf Fotos erkannte sie die Angeklagte nicht, im Gericht erst nach langem Zögern. Auch den Tathergang konnte T. nicht ohne Widersprüche schildern.

„Man fühlt sich verlassen in einem fremden Land“

Nun könnte es in dem Prozess abermals eine Wendung geben, die auch auf den Prozess in Frankfurt Einfluss haben dürfte. Anfang Februar erklärten Jennifer W.s Verteidiger plötzlich, das Mädchen sei wahrscheinlich gar nicht tot. Sie stützten sich auf das Gutachten eines Mediziners, wonach der Tod durch Verdursten „kaum“ in Betracht komme. Die Rechtsanwälte wollen außerdem Zeugen per Videovernehmung befragen, die angeblich gesehen haben, dass die Fünfjährige ins Krankenhaus gebracht wurde und noch lebte. Allerdings hatte Nora T. angegeben, sie habe ihre sterbende Tochter im Arm gehalten. Und auch Jennifer W. hatte dem verdeckten Ermittler erzählt, das Mädchen sei gestorben.

Nora T. wird in Frankfurt noch einmal eine Befragung über sich ergehen lassen müssen. Das Gericht wird wissen wollen, ob sie Al-J. erkennt. 2019 ist er in Griechenland festgenommen worden, angeblich war er dort untergetaucht. Im Oktober wurde er nach Deutschland überführt. Als er im Prozess seiner Ehefrau als Zeuge auftrat, war von ihm nicht viel zu hören. Auch in Frankfurt wird es ihm freistehen, sich zu äußern. Es ist wahrscheinlich, dass er schweigen und die Bühne seinen Verteidigern überlassen wird. Die beiden, Serkan Alkan und Martin Heising, haben viel Erfahrung mit IS-Verfahren. Sie sind in der ganzen Bundesrepublik dafür im Einsatz.

Als Alkan den Angeklagten zum ersten Mal traf, so hat er es Journalisten erzählt, habe der kleine Mann verängstigt gewirkt. Mit großen Augen habe er ihn angeschaut und sich gefreut, dass der Anwalt aufgetaucht sei. „Man fühlt sich verlassen in einem fremden Land“, sagte Alkan damals. Nun liegt es am Gericht herauszufinden, ob Al-J. auch wirklich der grausame Mörder ist, für den ihn die Anklage hält.

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